Rhein-Wied-Gymnasiasten erinnern mit der Aufführung „Weg" an die Bücherverbrennung im faschistischen Deutschland – Anspruchsvolle Darbietung
Mit einer beklemmenden Musik-Performance sorgten Sohüler des Rhein-Wied-Gymnasiums am Mittwochabend (23. November 2005) für tiefempfundene Betroffenheit in der Aula. Der Schrecken und die Unterdrückung des Nazi-Regimes wurden plötzlich wieder so präsent, dass vor dem Schlussapplaus einige Sekunden lang Totenstille herrschte. „Weg" ist die letzte Performance unter der Leitung von Rüdiger Werner.
Die Reihe mit den DIN-A4-Blättern vor den Füßen der Zuschauer wird immer länger. Es folgt eine zweite Reihe, eine dritte, eine vierte, es wird ein Meer aus Blättern, jedes Blatt trägt den Namen eines Schriftstellers, dessen Werke unter Hitler als entartet erklärt und verbrannt wurden. Der Irrsinn dieser Zelt wird nicht nur sichthar, sondern vor allem spürbar, weil die Schüler wie Marionotten ein Blatt nach dem anderen auf den Boden legen und laut die Namen der Autoren rufen. Wie eine sinnlose Maschinerie des Grauens fügen sich die Papiere zusammen. Dazwischen immer wieder ein Kontrast, der anrührt und bewegt: Einzelne Schüler treten ans Klavier (musikalische Leitung: Jürgen Gelking) und singen Tucholsky-Lieder. Eigentlich fröhlich klingende Lieder mit frechen, aufmüpfigen Texten. Aber damas waren es verbotene Lieder. Und so stimmen sie traurig.
Dann knallt das erste Buch auf den Boden. Es macht einen lauten Schlag, es tut weh in den Ohren, und auch das, was nun folgt, schmerzt, lässt die sinnlose Gewalt dieses Regimes, das Gedankenverbot, fühlen. Die Schülerinnen und Schüller reißen Seiten aus den Büchern, verteilen sie im Raum, werfen sie auf die Holzdielen, bis sie kaputtgehen. Dazwischen erklingt Hitlers Slimme aus den Boxen, bis ein Schüler auf den Tisch steigt und Nazi-Parolen bellt.
Was hier passiert, ist mutig, es kostet Überwindung – auch beim Publikum. Fast möchte man die Augen schließen, wegsehen, wie es so viele Menschen damals getan haben. Aber das funktioniert nicht: Die jungen Performance-Künstler tun alles, um den Terror sichtbar zu machen; sie filmen sich selbst und übertragen ihre Aktionen im Großformat auf die Wand, blenden Gesichter der vertriebenen Schriftsteller, Dichter und Denker ein, und zeigen über den Diaprojektor jene beeindruckenden Werke, die als entartete Kunst diffamiert wurden.
Nur ganz langsam löst sich die beinahe unerträgliche Spannung. „Warum? Wieso? Wann? Weshalb? Wodurch?" skandieren die Schüler im Sprechchor: Nicht schreiend, sondern eher flehend. Als ein sanftes, beharrliches Aufbegehren. Zu ruhiger Klavierbegleitung hängen sie die Bilder der Schriftsteller wieder an die Wäscheleinen, die sich quer durch den Raum spannen, stellen sich hinter sie, machen sie lebendig. In langen Mänteln, wie wir sie von den Fotos der Verfolgten und Flüchtenden dieser Zeit kennen, marschieren sie eng zusammen gerückt rückwärts aus dem Raum. Mehrere Sekunden lang wagt niemand, zu klatschen. Das ging zu tief für einen spontanen Applaus. Doch dann wird er um so herzlicher.
„Weg" war die letzte Performance unter der Leitung von Rüdiger Werner. Es ist sehr zu hoffen, dass diese jungen Menschen sich auch ohne ihren „spiritus rector" weiterhin solchen künstlerischen Herausforderungen stellen. Denn das war mehr als nur Theater.
Vielen Dank an die Rhein-Zeitung, dass wir den Artikel hier veröffentlichen dürfen.