Es gibt nicht mehr viele Menschen, die über den Terror der Nationalsozialisten gegen die Juden berichten können. Dies gilt für Opfer, Täter wie Zeitzeugen. Zu diesen gehört der heute 90-jährige Benno König, der als Sextaner (5. Klasse) miterlebte, wie brutal die SA-Schläger gegen die 36 wehrlosen Juden seines Heimatortes Finthen bei Mainz, einer damals katholischen Landgemeinde mit rund 2.000 Einwohnern, vorgingen. Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler in der vollbesetzten Aula des Rhein-Wied-Gymnasiums, die sich für diesen Tag eigens mit den Grundlagen der Zeitzeugenbefragung vertraut gemacht hatten. Die Moderation lag in den bewähren Händen der Abiturientin Marie Krempel, die bereits zahlreiche Podiumsgespräche – darunter mit diversen Ministerpräsidenten für den Bundesrat – geleitet hat.
Wie am 10. November 1938 die NS-Führung die Pogrome organisatorisch und propagandistisch zentral leitete, floss in Königs flüssigen und gut gegliederten Vortrag ein: In ganz Deutschland wurden an diesem Tag über 1.200 Synagogen zerstört, 26.000 Juden in Konzentrationslager verschleppt. Die Aktionen wurden in erster Linie von Parteistellen der NSDAP, der SA sowie Behörden insbesondere der Polizei und Feuerwehr durchgeführt. König schilderte eindringlich, dass in Finthen der enthemmten und alkoholisierten „Horde, die mit Stöcken, Beilen und Äxten bewaffnet war“, neben SA-Leuten sogar auch ein uniformierter Polizist angehörte. Zeuge der Ereignisse wurde er, weil sein Turnlehrer der Finthener Ortsgruppenleiter, wie die NSDAP ihre „Bürgermeister“ bezeichnete, seiner Klasse freigab, damit die Schüler den „Volkszorn“ gegen die Juden erleben konnten. Er sah, wie Juden schwer misshandelt und verhöhnt wurden, Mobiliar aus den Häusern geworfen und angezündet wurde. Was übrig blieb, so König, wurde hemmungslos von den Dorfbewohnern geplündert. Eine Mutter habe erst letzten Moment verhindern können, dass ihr 12 Monate altes Kleinkind aus dem Fenster geworfen worden sei.
Die Bevölkerung habe in Teilen als Mob die kriminellen Taten johlend unterstützt, andere hätten sich passiv und schweigend abseits gehalten. Nur eine einzige Frau hätte versucht, ihren jüdischen Mitbürgern zu helfen. Nach dem Pogrom hätten alle Juden den Ort zu Fuß verlassen müssen. Nur den beiden vermögenden Familien, die sich freikaufen konnten, sei die Emigration nach Amerika gelungen, alle anderen seien deportiert und in den Todeslagern ermordet worden.
Nach dem 45-minütigen mit fester Stimme, aber am Ende doch mit einiger Anstrengung gehaltenem Vortrag waren die SchülerInnen mit ihren Fragen an der Reihe: Ob die Eltern ihm hätten Rat geben können, wollte Cecilia Lohmann-Gonzáles (Stufe 9) wissen. Hier hatte Benno König in seiner Familie, die der katholischen Zentrumspartei nahestand, wie er meinte, enormen Rückhalt, sodass er – was mit schweren Konsequenzen (Verbot das Abitur zu machen) verbunden war – nicht in die Hitlerjugend eintrat. Außerdem drohte seiner behinderten Schwester die Ermordung durch das NS-Euthanasie-Programm. Louisa Armbrecht (Stufe 10) erkundigt sich nach der Meinung des Zeitzeugen zu radikalen Gesinnungen innerhalb der AfD. Benno König glaubt nicht, dass man diese ändern könne: „Nach dem Krieg haben die Altnazis nichts bereut. Und in Finthen hieß es, dass es Österreicher – und keine Einheimischen – gewesen seien, die die Juden misshandelten. Dabei waren alle daran Beteiligten meine Nachbarn, die ich persönlich kannte.“ Abiturient Abdullah Walkad-Dour fragte, wie man heute vermeiden könnte, Opfer von Propaganda zu werden. König riet zu Mut und Wachsamkeit gegenüber Antisemitismus. Das ist nicht einfach: In seinem Heimatort wird Benno König auch angefeindet, weil er von Verbrechen berichtet, die die Nachfahren der Täter bis heute verschweigen wollen.
Dem Verdrängen etwas entgegenzusetzen, sagt Benno König, deshalb habe er trotz seines hohen Alters die Strapazen auf sich genommen, nach Neuwied zu kommen: „Leider Gottes wird doch vergessen, was damals geschah. Deshalb erleben wir erneut Rechtsradikalismus, Ausgrenzung und Hass.“
Nach seinem Schlusswort gibt es warmen Applaus für einen besonderen Gast einer Zeit, aus der immer seltener Augenzeugen persönlich berichten können.